CO2-Bilanz – Die Krux des Scope 3
Die aktuelle Lage unserer Erde erfordert ein Mitwirken aller Menschen und Unternehmen, um unsere gesetzten Klimaziele zu erreichen. Die Grundlage für eine strategische Vorgehensweise bei der Umsetzung von individuellen Klimamaßnahmen bildet dabei eine CO2-Bilanz. Das Ergebnis davon ist der betriebliche Carbon Footprint. Dieser besagt, wie viele Emissionen durch die wirtschaftlichen Tätigkeiten freigesetzt werden und an welcher Stelle der Wertschöpfungskette sie entstehen. Doch genau das stellt uns vor Herausforderungen, denn die CO2-Bilanz (oder Treibhausgas-Bilanz) braucht Daten, die über die eigenen Unternehmensgrenzen hinausgehen. Was tun, wenn diese Daten nicht vorliegen? Dazu gibt es Tools und Vorgehensweisen, deren Vor- und Nachteile wir Ihnen am Beispiel unserer eigenen Bilanz aufzeigen.
Das Volumen
einer Tonne CO2
beträgt ca. 500 m3 oder über
6.000 mittlere Abfallsäcke.
Grundlagen zur Ermittlung einer CO2-Bilanz
Als Standard zur Erstellung einer CO2-Bilanz hat sich das Green House Gas Protocol (GHG-Protocol) durchgesetzt. Eine CO2-Bilanz nach dem gängigen GHG-Protocol setzt sich aus 3 Scopes zusammen. In Scope 1 fallen die direkten Emissionen, also alle Emissionen, die innerhalb der Unternehmensgrenzen entstehen. Scope 2 umfasst indirekte Emissionen, die zum Beispiel durch eingekauften Strom oder Wärme und Kälte entstehen. Scope 3 beinhaltet alle sonstigen indirekten Emissionen, die durch den Transport eingekaufter Güter, die Verteilung, Nutzung oder Entsorgung der eigenen Produkte entstehen. Anders formuliert fasst Scope 1 die Gesamtemissionen der eigenen Standorte, Scope 2 des eigenen Energiebezugs und Scope 3 der vorgelagerten Lieferkette und nachgelagerten Nutzung und Entsorgung zusammen.
Wie man an der Grafik schematisch sehen kann, wird der Carbon Footprint eines Unternehmens immer größer, je mehr Scopes man in der CO2-Bilanz betrachtet.
Bei den meisten Unternehmen ist der Scope 3 der umfangreichste Teil, also der Bereich mit den meisten Emissionen. Es ist gleichzeitig auch der Bereich, der am kompliziertesten zu erfassen ist. Denn hier braucht es Daten aus der Lieferkette, also Daten von anderen Unternehmen.
Und genau hier kommt eine große Herausforderung auf die jeweiligen Verantwortlichen zu, denn umso genauer die verwendeten Daten sind, desto genauer ist auch die Aussagekraft der CO2-Bilanz. Allerdings entsteht hier schon die Frage: Bekomme ich zuverlässige Daten von meinen Lieferanten (und Kunden)? Oft ist die Antwort: Nein! Und genau deshalb gibt es Tools, die sogar teilweise kostenlos sind. Natürlich liefern diese keine 100 % korrekten Daten in Bezug auf das einzelne Unternehmen. Aber Sie liefern zuverlässige Indikatoren und zeigen die sogenannten Hot Spots auf, also Bereiche, auf die Unternehmen sich bei ihrer Klimastrategie fokussieren sollen, um Impact zu erzielen. Für einen ersten Einblick und um als Unternehmer:in einen Fokus definieren zu können, sehen wir diese Tools als durchaus legitimes Hilfsmittel.
Datenerhebung Scope 3
In unserem Fall kommen die Daten des Scope 3 von unseren Dienstleistern. Dies sind überwiegend kleine Unternehmen mit einer Hand voll Mitarbeitenden oder sogar Einzelunternehmer:innen. Selbstverständlich sind diese meist so ausgelastet, dass Sie keine Kapazität haben, ihre eigene CO2– Bilanz zu ermitteln. Jeder unserer Dienstleister ist mit Sorgfalt ausgewählt und es sind nach unserem Empfinden klimafreundliche Unternehmen, aber eben ohne eigene CO2-Bilanz. Natürlich haben wir auch große Dienstleister, wie öffentliche Verkehrsbetriebe oder globale Cloud-Anbieter, die ihre CO2-Daten zur Verfügung stellen.
Die Situation hat dazu geführt, dass wir in den Jahren 2019 bis 2022 nur die Emissionen im Scope 3 betrachtet haben, für die wir eine valide Datenbasis hatten. Das waren unsere Übernachtungen, IT-Infrastruktur, Bahntickets, Homeoffice-Pauschalen bzgl. Strom- und Wärme und die Emissionen durch Abnutzung von Fahrzeugen.
Dienstleistungen ohne valide Daten haben wir bis 2023 außenvorgelassen. Ergebnis dieser Betrachtung war, dass wir einen Gesamtfußabdruck von 21,5 Tonnen CO2 im Jahr 2022 hatten. Bezogen auf unsere Mitarbeiteranzahl, hatten wir 2022 pro Mitarbeitenden 3,36 Tonnen CO2-Ausstoß.
Das liegt weit unter dem Branchendurchschnitt von knapp 6 Tonnen CO2. Erstmal ein befriedigendes Ergebnis, dennoch mit dem Wissen, dass nicht alle Emissionen erfasst wurden.
Bei einem durchschnittlichen Benzinverbrauch von 7,5 l kann man knapp 5.000 km
mit dem Auto zurücklegen und
emittiert dabei 1 Tonne CO2*.
* Darin enthalten sind direkte sowie indirekte Emissionen der Kraftstoffherstellung. Das Fahrzeug selbst ist hierbei noch nicht berücksichtigt.
Da uns auch Stand 2024 keine CO2-Daten für einige eingekaufte Dienstleistungen vorliegen, wir diese aber berücksichtigen wollen, haben wir für die Bilanz 2023 auf ein online-Tool zurückgegriffen. Der sogenannte Scope3Analyzer ermöglicht es uns, unsere gesamten Emissionen des Upstream Scope 3 zu erfassen.
Upstream
sind alle Emissionen, die in der Wertschöpfungskette vor dem eigenen Unternehmen entstehen. Zum Beispiel für die Herstellung und den Transport von Rohstoffen oder Materialien, die von Lieferanten zum Unternehmen gebracht werden.
Das Praktische an dem Tool ist, dass es auf Daten zurückgreift, die schon in Unternehmen vorhanden sind. Nämlich auf die Einkaufswerte der jeweiligen Dienstleistung (oder Produktgruppe). In unserem Fall haben wir unter anderem die Summe eingegeben, die wir für unsere Steuerberatung 2023 ausgegeben haben. Basierend auf einer volkswirtschaftlichen Modellrechnung (multiregionales Input-Output-Modell) berechnet das Tool dann den Wert der daraus entstehenden CO2-Emission. Diese Vorgehensweise ist deutlich einfacher und schneller als die Berechnung mit Mengenangeben (Stückzahl oder Tonnen), aber natürlich auch etwas undeutlicher, da mit Mittelwerten gerechnet wird.
Für uns ist das Ergebnis nicht als absolute Zahl zu betrachten, sondern vielmehr als Indikator. Es hilft uns zu erkennen, welche Hot Spots SEMPACT hat. Also welche Bereiche unseres Tuns die meisten Emissionen erzeugen und deshalb in unserer Klimastrategie berücksichtigt werden sollten.
Ergebnis des Scope3Analyzers für uns war, dass sich unser CO2-Fußabdruck verdoppelt – ein Schock für unser Klima-Management. Und die große Frage, wie valide das Ergebnis für uns ist.
Kann es stimmen, dass wir für die bisher nicht betrachteten Dienstleistungen mehr Emissionen ausstoßen als wir bisher als Gesamtverbrauch angenommen hatten? Ein komisches Gefühl, solche Zahlen zu veröffentlichen und sich dafür verantwortlich zu fühlen. Ohne genau zu wissen, ob sie zutreffen oder nicht. Eine Situation, die es im Finanzbereich auf jeden Fall so nicht geben würde. Die Frage stellt sich, warum es dann für die Basis unseres Seins, die Erhaltung der Erde akzeptiert wird. Aber gut, auch wir mussten einsehen, dass es im Moment keine bessere Herangehensweise gibt. Also erstmal Schlucken und dann in einem nächsten Schritt überlegen, wie wir an die realen Zahlen kommen können.
Grenzen und offene Fragen
Betrachten wir die Ergebnisse des Scope3Analyzers für unser Unternehmen, stehen wir dem Ergebnis für uns positiv kritisch gegenüber. Für den Großteil unserer eingekauften Dienstleistungen liegt der Emissionsfaktor des Scope3Analyzers bei ca. 0,11 – 0,12 kg CO2Äq/Euro Einkaufsvolumen. Betrachten wir unsere eigene CO2-Bilanz, liegen wir deutlich unter diesem Wert. Bei Einbeziehung sämtlicher Emissionskategorien und trotz der Tatsache, dass wir ein Dienstleister mit hoher Reisetätigkeit sind, kommen wir umsatzbezogen auf einen Wert von maximal 0,05 kg CO2Äq/Euro. Das lässt uns annehmen, dass wir bereits klimabewusst agieren und auch, dass, wenn wir mit Primärdaten (lieferantenspezifische Daten) rechnen würden, einen deutlich geringeren Fußabdruck hätten.
Idealerweise verfeinern wir die Datengenauigkeit schrittweise, indem wir zu einer Berechnung mit Primärdaten übergehen. Hierzu ist es erforderlich, dass unsere Lieferanten eine CO2-Bilanz für ihre Dienstleistungen und Produkte ausweisen.
Bei der Betrachtung der Emissionsergebnisse kam zudem noch die Frage auf, ob es sinnvoll ist, Werte zu betrachten, auf die man auf den ersten Blick keinen Einfluss hat. Da ist unsere Antwort ein klares „Ja“. Denn es gibt die Möglichkeit, ins Gespräch mit Lieferanten zu gehen, über Kompensation Verantwortung zu übernehmen oder, als letzte Konsequenz, zu Dienstleistern zu wechseln, die ihre CO2-Bilanz nachweisen können.
Fazit CO2-Bilanz mit Toolunterstützung
Letztendlich zeigt sich hier die Feinheit des GHG Protocols. Es zeigt auf, dass man sich als Unternehmen nicht nur für die CO2-Emissionen verantworten muss, die auf dem eigenen Standort entstehen, sondern eben auch für die vor- und nachgelagerten Prozesse. Und ja, wir stehen noch am Anfang, aber nachfolgende Generationen zuliebe wollen wir mehr und mehr Transparenz schaffen und daraus Klimastrategien abzuleiten. Je früher wir beginnen, uns aktiv damit auseinanderzusetzen, desto mehr Handlungsspielräume stehen uns zur Verfügung.
Wie so oft gibt es auch hier nicht „die eine Lösung“ oder „den richtigen Weg“, sondern eher eine Annäherung in Schritten. Denn das Ziel ist eine strategisch nachhaltige Verbesserung unseres Corporate Carbon Footprints.
Wir schätzen den Scope3Analyzer als valides Einstiegstool ein, das leicht Zugang zur betrieblichen CO2-Bilanz für den Scope 3 schafft. Wir basieren diese Erkenntnis auf dem Wissen, dass ein Mensch, der in Deutschland lebt, ca. 10 Tonnen CO2 pro Jahr ausstößt.
Wenn wir diesem Fußabdruck die Ausgaben pro Kopf (Summe aus privaten Konsumausgaben und Ausgaben der öffentlichen Hand) gegenüberstellen, ergibt sich ein Emissionsfaktor je Euro Ausgabe. Dieser liegt zwar bei Einbeziehung aller Kosten weit über den 0,11 – 0,12 kg CO2Äq/Euro. Dies ist jedoch verständlich, da ein Großteil der Ausgaben Aktivitäten und Produkte umfasst, welche mit weitaus mehr Emissionen einhergehen (Wohnen, Mobilität, Ernährung, Infrastruktur etc.). Bei ausschließlicher Betrachtung der verbleibenden Ausgaben für den Bezug von Dienstleistungen verbleibt somit ein Restbetrag in Ausgaben und ein Rest-CO2-Budget von den 10 Tonnen, welche die Größenordnung des Emissionsfaktors von 0,11 – 0,12 kg CO2Äq/Euro plausibel erscheinen lassen.
Bei unseren Dienstleistungen setzten wir auf Nachhaltigkeit durch innovatives Denken und proaktives Handeln. Unser breites Leistungsportfolio beinhaltet Ressourcen- und Energieeffizienz, Umwelt- und Klimaverantwortung sowie Managementsysteme, wir führen diese Themenbereiche zusammen und strebt den individuellen (Energie-)Wandel eines Unternehmens an. Partnerschaftlich, zukunftsorientiert und an Ihre Bedürfnisse angepasst.
Quellen:
- Scope 3 Emissionen im Fokus | Erklärung der 15 Kategorien nach Greenhouse-Gas-Protocol
- Der scope3analyzer: Ein kostenfreies Carbon Footprinting Tool für Scope 3
- Scope3Analyzer
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