Zwischenspiel - Ende des Wachstums? oder: Mut zum Wandel?

Seit Wochen arbeitet es in mir: Was veröffentliche ich als Zwischenspiel in unserem kommenden Newsletter? Es gibt so viele Themenstellungen, die aktuell wichtig scheinen: Klimachaos und Nachhaltigkeit; Pandemie; Krieg und religiöser Terror; Überbevölkerung; die Ordnungen der Liebe und des Lebens; Wandel der Arbeit durch Liebe; Flüchtlingsströme; künstliche Intelligenz; Zusammenbruch der Demokratien; Erstarken rechter Populisten; Versöhnung zwischen Menschen und Natur; die Verzweiflung der Jugend. Thriller-Szenarien mit absolutem Kontrollverlust neben Hoffnungslosigkeit, Lähmung und Handlungsunfähigkeit? Welchem Thema will ich mich dieses Mal widmen? Was wäre eine gute Metapher dafür? Wohin wende ich meinen Blick?

Aktuell gerate ich immer wieder in Dialoge, in denen es um Wachstum und Suffizienz geht. Was ist überhaupt „Suffizienz“? Der Begriff steht für Genügsamkeit, Konsumverzicht, Maßhalten, Beschränkung auf das absolut Erforderliche. Er bezeichnet die Abkehr von einem energie- und rohstoffintensiven hin zu einem selbstbeschränkten Lebensstil, in dem ausschließlich konsumiert wird, was der Mensch zum Existieren wirklich braucht. Die Feinde der Suffizienz seien verkörpert in Wachstum und Kapitalismus. Es wird vorausgesetzt, Wachstum sei die Wurzel aller Umweltverschmutzung, Klimabelastung und Ungerechtigkeit, also lautet die Schlussfolgerung: Ende allen Wachstums - was die Abschaffung des Kapitalismus gleich miteinschließe, der dem Wachstum siamesisch verbunden sei. … Und schon landen wir im Populismus. Den beherrschen nicht nur Rechte. 

Der Populismus ist nicht an differenziertem Denken interessiert. Er setzt alles daran, Ängste und Vorurteile zu schüren, Verschwörungstheorien zu verbreiten, Menschen dumm zu halten und ihren Hass auf Sündenböcke zu schüren. Populisten versprechen die Vergangenheit und verspielen die Zukunft.

Nun, wenn Sie Thriller lieben, wissen Sie, was als einziges gegen die Bedrohung hilft: sie zu verstehen. Wir Menschen sind wie keine andere Spezies mit der Gabe gesegnet, durch Erkenntnisgewinn Ordnung ins Chaos zu bringen. Bedroht zu sein ist an sich kein Problem. Ohnmacht ist das Problem, Unwissenheit und Hilflosigkeit. 

Wissen versetzt uns in die Lage, zielgerichtet zu handeln. Wissen gibt uns Kontrolle und Souveränität. Wissen ist die Wunderpille gegen fragwürdige Ideologien. Wissen erzeugt Zuversicht! Wer Dinge versteht, den kann man nicht ins Bockshorn jagen.

Auch Ökopopulismus zeigt also kein Interesse an Ausdifferenzierung, sondern verdammt Wachstum und Kapitalismus. Wachstum führe zu Bumerang-Effekten. Aber es gäbe ja die Lösung: Suffizienz! Was bräuchte man schon groß? Beschiede man sich mit dem, was man wirklich bräuchte, wäre der Wachstumszug gestoppt, das Klima gerettet, jeder glücklich. Klingt gut. Hat nur ein paar gewaltige Haken.

Wer ist hier "man"? Welches Gremium entscheidet, was der Einzelne braucht? "Du sollst wollen, was wir wollen." Diese Sicht hat noch jedes Mal ins Verderben geführt. 

Es ist nicht nur das Klima, das aus meiner Sicht eine Rettung braucht. Auch wir Menschen, unsere Gesellschaft, unsere Gemeinschaft, unsere Unternehmen stehen vor grundlegenden Veränderungen. Durch Globalisierung sind Wirtschaft, Politik, Kultur, Umwelt und Kommunikation weltweit immer enger miteinander verflochten. Die regionale Verantwortung für globale Entwicklungen steigt immer mehr. Und es steigen die Chancen für regionale Gestaltungsmöglichkeiten, Kooperationen und ähnliches. Die Trends, die sich daraus entwickeln können, dienen wiederum dem Klima, der Gesellschaft und den Menschen:

  • Nachhaltigkeit wird zu einem Megathema der Wirtschaft
  • Klimarisiken und -chancen werden z. B. im Finanzsektor integriert
  • das Konsumverhalten der Menschen verändert sich durch das zunehmende Gesundheits- und Umweltbewusstsein
  • neue Arbeitswelten und -formen entstehen
  • Wirtschaftskreisläufe regionalisieren sich
  • neue Transport- und Verkehrsformen oder auch gemeinschaftliche, temporäre Nutzungsformen entwickeln sich dynamisch
  • neue, attraktive Berufsbilder und Berufswelten entstehen

Meine tiefste innere Überzeugung ist: Zukunft lässt sich gestalten. Sie wird durch uns Menschen gemacht. Das gilt auch und gerade in Zeiten von großen Umbrüchen und grundlegender Un­sicher­heit.

Wenn die Erfahrungen und Handlungsweisen der Vergangenheit nicht mehr einfach übertragbar sind, müssen wir gemeinsam Brücken bauen und neue Wege beschreiten. Nachhaltigkeit muss aus meiner Sicht das grundlegende Prinzip unser Zukunftsgestaltung sein. Dazu brauchen wir Zukunfts­bilder:

Zum Beispiel, dass Menschen allerorts Verantwortung für ihre Landschaften übernehmen. So können sie Landschaften mit Küsten, Wäldern, Flüssen, Seen, Mooren, Äckern, Weiden und Wiesen und der ungewöhnlichen Fülle und Vielfalt an Pflanzen- und Tierarten als wichtigstes gemein­schaftliches Gut erleben.

Zum Beispiel, dass die Menschen in ihren Dörfern und Städten mit Verwaltungen, Unter­nehmen, Vereinen und politischen Akteuren selbstbestimmt, kooperativ und solidarisch zusammen­arbeiten.

Zum Beispiel, dass die in hiesigen Forschungseinrichtungen entwickelten Technologien gute Jobs schaffen und sich in aller Welt verkaufen.

Zum Beispiel, dass Menschen eine Kultur der kooperativen Gestaltung leben, eine Kultur des Helfens, Bewahrens, der Neugierde und der Entdeckung: zuhören, andere Meinungen aushalten, eine Kultur der Debatte pflegen, Haltung zeigen.

Zum Beispiel, dass die Menschen sich zu einer starken und selbstbewussten Zivilgesellschaft verab­reden, die die Rechte von jungen Menschen und Migrant*innen stärkt sowie die Rechte zukünftiger Generationen. Sie achtet die Vielfalt von Familienformen, ermöglicht demo­kra­tische Teilhabe und stärkt den sozialen Zusammenhalt.

Zum Beispiel, dass Menschen aller Altersgruppen lebenslang von einem innovativen Bildungs­system profitieren, das praxisorientiertes und digitales Lernen miteinander verknüpft und die regionalen Bezüge genauso wie internationale Ausrichtung gleichermaßen integriert.

Um Zukunft zu gestalten, müssen die Weichen rechtzeitig und richtig gestellt werden - von allen "interessier­ten Parteien": den Lenkern von Konzernen, den Unternehmer*innen, den Führungs­kräften und Abteilungsleiter*innen, den Politiker*innen, den Behörden, den Entscheidern auf allen Ebenen. Neue Weichenstellungen sind zwingend notwendig für die Ausrichtung zu einer nach­haltigen, digitalen und gemeinwohlorientierten Gesellschaft.

Welche Voraussetzungen aber sind notwendig, damit diese Transformation gelingt? Wir müssen uns also die Frage nach dem "Wie" des Weges, den wir gehen wollen, beantworten.

Hier können Sie sich an einer Schablone für eine erfolgreiche Transformation bedienen:

  1. systemisch denken: Weichen stellen!
  2. in Voraussetzungen denken: Menschen befähigen!
  3. in Wechselwirkungen denken: Synergien nutzen!
  4. in Pfaden denken: Innovationen auslösen!
  5. Kooperation fördern und ermöglichen: Akteure einbinden!
  6. in Handlungsprinzipien denken: Werte berücksichtigen!
  7. ganzheitlich denken: Sinn herstellen!

Gute Zutaten sind aber noch kein Rezept, Einzelmaßnahmen machen noch keine Zukunft. Trans­formation gelingt dann, wenn Maßnahmen ineinandergreifen und aufeinander abgestimmt sind.

Die Kolleg*innen bei SEMPACT haben sich entschieden: für den „Mut zum Wandel“. Wir haben uns für die Konsequenz eines anderen Handelns entschieden. Wenn die Zukunft anders aussehen soll, müssen wir jetzt, da die Zeit drängt, damit beginnen, Dinge anders zu tun - so sehen wir das bei SEMPACT. Wenn wir Transformation vom Ende her denken, müssen wir heute konsequenter handeln. Und wir brauchen einen Kulturwandel: Gewohnheiten und sektorales Denken müssen hinter­fragt und zum Teil abgelegt, kooperative und interdisziplinäre, aber auch experimentelle Struk­turen etabliert werden.

Wir kennen die Zukunft nicht. Doch das größte Zukunftsrisiko besteht darin, nichts weiter zu tun, als den Status quo zu verwalten.

Ich wünsche Ihnen am Weihnachtsfest, dass Sie sich distanzieren können vom Trubel der Welt und der Geschäftigkeit; dass Sie sich Zeit nehmen, sich auf das Wesentliche vorzubereiten; dass der Zauber der Weihnacht in Ihrem Herzen beginnt und Sie seine Stille hören lernen; dass Sie sich selbst und Ihren Mitmenschen Zeit und Liebe schenken.

Ihre Ramona Lütcherath