Zwischenspiel – Die Weihnachtsgeschichte

„Das ist eine Weihnachtskrippe“, sagte Frau Czichanowski. „Das sind die Figuren aus der Weihnachtsgeschichte.“ Christopher runzelte die Stirn. Er schaute noch einmal. „Da haben Sie wohl den Weihnachtsmann verloren, was? Kenn ich. Ich habe auch mal den einen Piraten von meinem Playmo-Schiff verloren. Könnte man nachbestellen, hat meine Mutter gesagt. Aber dann hab´ ich es lieber verkauft.“ 

„Nein, die ist vollständig, da braucht man keinen Weihnachtsmann.“ „Aber Sie haben doch gesagt, es ist die Weihnachtsgeschichte.“ „Ja, es sind die Figuren aus der Weihnachtsgeschichte aus der Bibel.“ 

Aha. Jetzt wusste Christopher, woher der Wind wehte. Die war also in der Kirche. Wahrscheinlich glaubte die Frau an Gott und den Teufel und so was. Tareks Eltern glaubten ja auch an Allah. Seine Mutter Manu glaubte an nichts. Aber sie hatte ihm beigebracht, dass er trotzdem höflich sein sollte, wenn einer glaubt. Denn Manus Oma war auch in der Kirche gewesen. Und Manu hatte sie sehr lieb gehabt. Aber das war, bevor Manu Christopher bekommen hatte und ihre Eltern sie rausgeschmissen hatten.

„Und wozu brauchen Sie die Puppen? Spielen Sie damit?“ „Man stellt die so hin und dann erinnern die einen an die Weihnachtsgeschichte aus der Bibel.“ 

Frau Czichanowski rutschte neben Christopher und setzte sich gerade hin. „Kennst Du die Weihnachtsgeschichte aus der Bibel?“ Christopher schüttelte den Kopf. 

„Guck mal hier.“ Sie nahm die Babypuppe. „Das ist das kleine Jesus-Baby.“ 

Von Jesus hatte Christopher schon mal was gehört. Die in der Kirche glaubten an den. Der hing immer an einem Kreuz und sah furchtbar hässlich aus. Voll das Opfer. 

„Und das Jesus-Baby, das legt man hier in die Futterkrippe in das Stroh.“ „Nee, das geht doch nicht. Ein Baby gehört doch in ein Bett! Was hat der denn für eine Mutter?“ Christopher schüttelte den Kopf. Selbst Manu hatte damals vom Amt ein Bett für Christopher bekommen. 

„Das hier ist die Maria, die Mutter“, Frau Czichanowski nahm die Syrerin mit der rotblauen Burka und stellte sie neben das Kind in der Krippe. Maria – das ist ein schöner Name, fand Christopher. Er hatte mal eine Maria gekannt. Das war noch im Kindergarten. Die hatte zwei schöne Zöpfe gehabt. Aber dann war sie weggezogen. Was die wohl heute machte? 

Trotzdem, so ging das nicht. „War die ´ne Asylantin? Ich mein´, ich hab´ nichts gegen Ausländer. Aber wenn die nicht mal ein Bett vom Amt besorgt vorher?“

„Damals gab es noch kein Amt. Und außerdem war Maria weit weg von zu Hause. Die hatte mit dem Josef eine weite Reise gemacht. Und in der Stadt wollte ihnen niemand ein Zimmer geben, obwohl sie doch hochschwanger war. Deshalb mussten sie in einen Stall gehen. Da waren ein Esel und ein Ochse und es war wenigstens warm und trocken“. 

Sie stellte den Typen mit dem Bart und dem Stab auf die andere Seite neben das Baby im Stroh.

Christopher dachte nach. Also war der Larry hier schuld, dass das Baby im Stroh liegen musste. Typisch. Erst ein Kind in die Welt setzen und dann Party machen und sich nicht drum kümmern. „Was is´n das für'n Honk als Vater?“ „Das war gar nicht der Vater.“ Christopher machte große Augen. Frau Czichanowski erzählte weiter: „Der Josef war zwar mit Maria zusammen. Aber die Maria war schwanger, bevor sie zusammengezogen sind.“ 

Er schaute die Maria-Puppe noch mal an. „So eine kleine Schlam...!“ „Ja, das haben die Leute in dem Dorf von Maria bestimmt auch gesagt. Und der Josef hat das auch gedacht. Aber Maria hat gesagt: Ich kann nichts dafür, das Kind ist von Gott.“ 

„Von Gott – ja klar, ´ne.“ 

„So erzählt das die Bibel. Und auch der Josef hat einen Traum gehabt. Da ist ein Engel zu ihm gekommen und hat gesagt: Das Kind ist von Gott. Und später wird es allen Menschen helfen. Und Du sollst für ihn die Verantwortung übernehmen.“ 

„Sieht ja irgendwie nich´ so aus, als wenn er das ernst genommen hat.“ 

„Doch, der Josef hat das ernst genommen. Der hat dem Jesus später alles beigebracht. Er hat für die Schule gesorgt und ihm einen Beruf beigebracht. Er hat ihn behandelt wie seinen eigenen Sohn.“ 

Christopher dachte an seine Mutter und an die Typen, mit denen sie so rumhing. 

Der war vielleicht nicht so übel der Josef. Immerhin, der alte Knacker hatte zu Maria gehalten, auch wenn der kleine Scheißer nicht von ihm war.

„Und was soll das mit den Tieren und diesen Typen hier?“ Christopher zeigte auf die Männer mit den Fellwesten. „Ist das die Gang von Josef?“ Die Frau schmunzelte. „Nein. Das sind Hirten. Die haben auf die Schafe aufgepasst.“ 

Sie stellte die Hirten und die Schafe neben Maria und Josef und die Baby-Puppe. 

„Und was machen die da?“ „Die sind gekommen, um das Baby zu sehen.“ Aha. 

Christopher war damals auch mit zu Lukas gegangen, als sein kleiner Bruder geboren worden war. „Waren die mit Maria und Josef befreundet?“ „Nein. Die waren eigentlich draußen auf der Wiese und haben da aufgepasst, dass der Wolf die Schafe nicht frisst. Das waren ganz arme Typen. Keiner wollte was mit denen zu tun haben. Alle haben immer gesagt: Die Hirten stinken, lügen und klauen.“

Christopher dachte an das Messer von Andy in seiner Tasche. „Die wurden also gemobbt?“ 

„So ungefähr. Die haben sich bestimmt gefragt: Warum hassen uns eigentlich alle Leute? Warum will mit uns keiner was zu tun haben?“ 

Christopher ging ein Stich durch den Bauch. Frau Czichanowski nahm den Engel und stellte ihn hinter das Jesus-Baby. „Da ist dann ein Engel gekommen.“ „Ein Engel ist gekommen? Von wo denn?“ „Die Bibel sagt: Aus dem Himmel ist der Engel gekommen. Und der hat ganz hell geleuchtet, und da hatten die Hirten natürlich Angst. Aber der Engel hat gesagt: Habt keine Angst. Heute Abend ist etwas Wunderbares passiert: Heute Nacht hat Gott an Euch gedacht. Heute Nacht ist Gottes Sohn geboren worden. Der wird allen Menschen helfen. Und jetzt ist Frieden da für alle Menschen.“ 

„Hammerkrass. Aber Frieden – gucken Sie denn keine Nachrichten?“ 

„Ich glaube, der Engel hat gemeint, es ist ein Frieden für jeden, der sich auf das Baby einlässt. Ich denke, der hier“, sie nahm einen von den Hirtenpuppen, „der hat eine Mordswut gehabt, auf alle Menschen. Guck wie zufrieden der hier aussieht. Ich meine, stell Dir vor: Gottes Sohn wird geboren und die ersten, die das hören sind die hier.“ „Hm. Und dann?“ 

„Dann sind die Hirten zu dem Stall gegangen und haben Maria und Josef und das Baby gefunden. Und dann haben sie gesagt: „Der Engel hat gesagt: Aus dem Burschen wird mal was ganz Großes. Auch wenn das hier alles ganz armselig aussieht, der hier wird den Karren aus dem Dreck ziehen.“ 


Christopher runzelte die Stirn. Was sollte denn aus so einem Baby werden? Kein richtiges Bett. Die Mutter ist komisch drauf. Na ja, wenigstens der Josef hält zum Kind. Aber was kann aus dem schon werden. Und so ein Engel-Theater. Und was war das mit dem Frieden? Warum war der Typ zufrieden mit sich? 

Aber da waren ja noch andere Figuren. Der König mit dem Geld und der Schwarze. „Wo gehören die hin?“ „Also, das sind drei Könige. Die haben einen Stern gesehen. Und die sind dem Stern hinterher gereist. Und dann haben sie den Jesus in seinem Stall gefunden. Und sie haben ihm Gold und andere Sachen geschenkt.“ „Und was wollten die dafür haben?“ 

Christopher wusste, wenn einer einem tolle Sachen schenken will, dann musste er vorsichtig sein. Es liefen zu viele Perverse rum. 

„Die wollten gar nichts. Die wollten, dass das Kind ein gutes Leben hat und dass es alles bekommt, um seine Bestimmung zu erfüllen. Die waren wie Sponsoren.“ „Aha.“ 

Christopher schaute sich die Puppen noch einmal alle an: Die Maria, den Josef, das Baby, die Hirten und die reichen Schnösel. Irgendwie war es für den kleinen Typen ja gerade nochmal glatt gegangen. Und auch für die Maria und den Josef. Und alles, weil diese ranzigen Hirten voll an ihn glaubten und diese Millionäre mit ihrem Geld die Leute unterstützt haben. 

Christopher dachte an Jessica und Erik und Tobias. Er dachte an Manu und an Jessicas Mutter. Er dachte an Andy und alle die Typen, die mal da waren und dann wieder weg. Er dachte an Tarek. Wer glaubte eigentlich an ihn und all die anderen? Die ranzigen Hirten, diese Penner, was haben die denn schon gesehen? Ein stinknormales Baby! Und dann erzählen die so einen Riesenscheiß von Engeln und dem Retter der Welt. Hallo? Geht's noch? 

Andererseits - das war doch ihr aller gemeinsamer Traum, dass sie es im Leben schaffen konnten. Trotz der Manus und Andys und Gerds. Das war jedenfalls ein ganz anderes Weihnachten als Tannenbaum und Wodka und Lichterketten. Das hier war viel spezieller.

Der Junge schaute auf sein Handy. „Mann, ist das spät geworden. Ich muss los. Meine Mutter ist bestimmt wieder zu Hause.“ Er zog sich seine Jacke an und nahm sein Handy. 

„Ja. War ein cooler Abend. Cooles Weihnachten. Der Kakao war obergeil. Tschüss.“ 

Marion sah ihm zu, wie er seine Schuhe anzog. Auf der Treppe dreht er sich noch einmal um: „Fröhliche Weihnachten, Frau Czichanowski!“ „Fröhliche Weihnachten, Christopher!“